Als ich damals geboren wurde

Ausgerechnet an einem Karfreitag geboren zu sein, hat meiner Geburt einen Beigeschmack gegeben. Mama hat erzählt, dass am gleichen Tag in der Nachbarschaft ein Junge auf einer Kreuzung gestorben ist. Sein Name war Jesus. Zuerst dachte man, er sei tot, doch dann stellte sich heraus, dass er sich nur totgestellt hatte. Mama hat erzählt, der Junge sei wieder wachgeworden und dann einfach weggeflogen. Sozusagen Unfallflucht.
Meine Eltern sind Christel und Karl-Josef Tolk. Zuerst klingt das nicht sehr schlimm. Wenn man jedoch dann erfährt, dass meine Eltern mich Dörti genannt haben, kommt man sehr schnell auf den Gedanken, dass der Karfreitag  nicht das übelste war, was mir passiert ist.
Ich bin ein Karfreitagskind und heiße Dörti Tolk.
Papa hat gesagt, ich sei ein Unfall gewesen. Hätte ich das vorher gewusst, hätte ich auch Unfallflucht begangen, so wie der Junge von der Kreuzung.
Am  27. März 1959 habe ich um 23:59 Uhr das Licht der Welt erblickt. Erinnern kann ich mich daran nicht, doch wenn Mama sagt, dass es so ist, ist es auch so. Mamas kleine Schwester Dörti ist im Alter von einem Jahr in die Köttelbecke hinterm Haus gefallen. Fast wäre sie ertrunken, doch ihr großer Bruder, mein Onkel Hans-Dieter, hat Tante Dörti noch im letzten Moment rausgezogen und ihr das Leben gerettet. Mama sagt, Tante Dörti hat bestialisch nach Scheiße gestunken. Deshalb heiße ich Dörti.
Mein ganzes Leben lang bemüht Mama sich schon, diese Aura von Drama von mir zu nehmen, was mich wiederum erst darauf aufmerksam gemacht hat, dass mich eine Aura von Drama umgibt. Das alles wäre mir erspart geblieben, wenn ich zu Ostern geboren wäre. Dann hätte ich zumindest Eier.
Für mich haben die Probleme mit meiner Geburt erst richtig angefangen, doch das konnte ja niemand ahnen.
1959 war Dirty Talk noch nicht in aller Munde.

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